
Anmerkung: Dieser Beitrag wurde erstmals im Februar 2011 verfasst und an vielen Stellen angepasst um den Entwicklungen Rechnung zu tragen. Das hierin beschriebene Thema Geschäftsmodelle ist nach wie vor aktuell.
Eine gute Idee alleine macht noch lange kein gutes oder funktionierendes Unternehmen aus. Es ist das Geschäftsmodell, also die Art und Weise wie Geld verdient wird, das einem Unternehmen das Leben einhaucht.
Stellt man sich die Geschäftsidee als den Klappentext eines Buches, also die Kurzfassung, vor, so ist das Geschäftsmodell das eigentliche Buch selbst.
Das Geschäftsmodell ist das Rückgrat jedes Unternehmens.
Das einfachste Geschäftsmodell, Ware gegen Ware, reicht viele Jahrtausende zurück. Es gibt in diesem Modell zwei Anbieter und zwei Nachfrager. Da nur Waren getauscht werden, muss jeder die Ware des anderen haben wollen. Geld fließt in diesem Geschäftsmodell keines.
Das erste Geschäftsmodell der Welt „Ware gegen Ware“ hat sich dann mit der Einführung von Währungen in „Ware gegen Geld“ verwandelt. In diesem Geschäftsmodell gibt es einen Verkäufer und einen Käufer. Die meisten Handelsgeschäfte funktionieren heute immer noch nach diesem Prinzip. Allerdings sind die dahinterliegenden Abläufe und Verbindungen, wie Warenbeschaffung, Partnerschaften etc., in der Regel deutlich komplexer.
Bevor wir uns in den folgenden Kapiteln damit beschäftigen, wie man ein funktionsfähiges Geschäftsmodell konzipiert und umsetzt, schauen wir uns zunächst einige Geschäftsmodelle aus der aktuellen Wirtschaft im Detail an.
Die Kernfrage bei jedem Geschäftsmodell ist:
Wie, mit wem und womit wird das Geld verdient?
Beginnen wir unsere Exkursion durch die Geschäftsmodelle der Wirtschaft zunächst mit einem vergleichsweise einfachen Geschäftsmodell.
Die Lokalzeitung
In nahezu jeder größeren Stadt gibt es eine Lokalzeitung, ein Blättchen, dass über die aktuellen Geschehnisse in der Region berichtet, kostenlos an alle Haushalte verteilt wird und in der Regel einen dicken Packen Werbeprospekte in der Mitte enthält.
Sie vermuten sicherlich schon, worauf ich hinaus möchte. Wie kann eine solche Zeitung kostenlos sein bzw. warum sind nicht alle Zeitungen, die es gibt, kostenlos?
Die Antwort kennen Sie vermutlich bereits: Werbung.
Schauen Sie sich eine „normale“ Tageszeitung an, so finden Sie darin Berichte und Themen aus der ganzen Welt. Die Lokalzeitung hingegen berichtet nur aus der Region und dies auch nicht tagesaktuell. Es werden also viel weniger Redakteure benötigt und es entstehen viel weniger Kosten.
Aber wenn Kosten entstehen, egal wie gering, dann müssen diesen Kosten doch auch Einnahmen gegenüber stehen?! Richtig. Allerdings stammen diese Einnahmen nicht aus Verkaufserlösen für die Zeitung, wie zumindest teilweise bei den Tageszeitungen, sondern aus dem Verkauf von Anzeigen.
In jedem Geschäftsmodell muss es also Einnahmen geben, welche die Kosten übersteigen.
In diesem Geschäftsmodell erhält also derjenige, der für die Produktion der Zeitung zahlt, der Werbende, diese nicht. Er zahlt, damit die Leser der Zeitung diese kostenlos erhalten können. So ein Geschäft nennt man Subventionsgeschäft.
Bei den Subventionen unserer Lokalzeitung handelt es sich schlicht um die Einnahmen aus dem Verkauf von gewerblichen und privaten Anzeigen, welche die Produktion und Verteilung der Zeitung möglich machen.
In jedem Geschäftsmodell gibt es also Einnahmen (Umsätze) und Kosten.
An dieser Stelle könnte man davon ausgehen, dass der Wert eines Unternehmens sich ausschließlich am Geschäftsmodell und dem Verhältnis von Umsatz zu Kosten, also dem Gewinn, orientiert.
Das ist, wie wir bereits gelernt haben, nur teilweise richtig. Eines der ehemals wertmäßig höchstdotierten Unternehmen der Welt hat bis heute kein tragfähiges Ertragsmodell und damit auch kein Geschäftsmodell. Ohne Einnahmen, die zumindest perspektivisch die Kosten übersteigen, ist ein Geschäftsmodell kein Geschäftsmodell.
Das Unternehmen von dem ich spreche ist Twitter.com.
140 Zeichen Kurznachrichten – Twitter.com
Der Unternehmenswert von Twitter.com wurde in 02/2011 mit ca. 10 Milliarden Dollar bewertet. Twitter hat bis heute kein intelligentes Geschäftsmodell. Twitter wird auf der ganzen Welt intensiv genutzt. Allerdings waren die Umsätze bei Weitem nicht so hoch, dass eine 10 Milliarden Dollar Bewertung gerechtfertigt wäre.
Die Gründer von Twitter haben sich immer gegen Werbung gesträubt. Twitter hat allerdings in Zukunft ein Problem und dieses wurde schließlich auch von den Twitter- Managern erkannt: Anders als etwa Facebook, wo sich ein Großteil der Leute direkt auf der Seite facebook.com einloggen, um aktiv zu sein, sind die Tweets von Twitter auch auf ganz vielen anderen Plattformen als Twitter.com abrufbar und versendbar. Das hat dazu geführt, dass Twitter quasi zu einer Art unsichtbarer Nachrichtenautobahn für zahllose Applikationen und Plattformen verkommen ist. Die Offenheit der Schnittstellen hat sich also gegen das Geschäftsmodell von Twitter gewendet.
Facebook hat inzwischen auch neben dem Aufbau der Community (Nutzergemeinschaft) ein für die Zukunft tragfähiges Geschäftsmodell, das neben dem Werbeverkauf weitere Einnahmequellen erschließt. Das geht aber nur, weil die Facebook- Nutzer auch wirklich Facebook.com benutzen. Twitter hat zwar viele registrierte Benutzer, aber nur ein Bruchteil davon meldet sich wirklich regelmäßig bei Twitter.com an.
Im März 2011 hat Twitter deshalb Einschränkungen in der Nutzung der offenen Schnittstellen angekündigt, vermutlich, um wieder mehr Benutzer auf die Seite Twitter.com zu ziehen.
Womit Twitter in Zukunft allerdings wirklich Geld verdienen wird, ist weiterhin unklar.
Worauf beruht dann aber die 10 Milliarden Dollar Bewertung? Fantasie. Stand 02/2011 hat Twitter.com rund 200 Millionen registrierte Benutzer. Dies löste bei Investoren Fantasien aus. Ähnlich wie bei Facebook glaubt man auch bei Twitter an eine übergroße Zukunft, in der mit dieser Menge an Benutzern und somit potentiellen Kunden viel Geld verdient werden kann. Wie, ist allerdings im Falle von Twitter heiterhin völlig unklar.
In jedem Geschäftsmodell gibt es also auch Kunden bzw. Zielgruppen.
Anzeigenverkauf 2.0 – Google.com
Das Geschäftsmodell von Google ist dem von Lokalzeitungen auf den ersten Blick gar nicht so unähnlich. Google verdient das meiste Geld mit dem Verkauf von Anzeigen im Internet, sogenannten Google-Ads bzw. Google-Adwords.
Aber Google macht noch sehr viel mehr und dahinter steckt eine langfristige und komplexe Strategie. Fast alles, was Google produziert, sei es die wohlbekannte Suche, der Kalender, das E-Mailsystem, das Office-Paket etc., ist für den Benutzer kostenlos. Sicher vermuten Sie schon richtig, dass Millionen von Servern zu betreiben, hunderte von Softwareprodukten zu entwickelt und die ganze Welt häuserweise zu fotografieren, mehr kostet, als eine Lokalzeitung zu produzieren. Warum also das Ganze und wie wird das alles bezahlt?
Beginnen wir mit dem „Wie“. Google schaltet, anders als Lokalzeitungen, nicht einfach nur eine Anzeige im Internet, sondern tut dies im Kontext zur Suche des Benutzers. Das bedeutet, dass der Anzeigenkäufer selbst festlegen kann, zu welchen Themen seine Anzeige erscheinen soll. Dies wird über Schlüsselwörter (im Google Terminus AdWords) realisiert.
Weiß ich als Anzeigenkunde aus dem Bereich Kanalreinigung also, dass meine Zielgruppe häufig bei Google nach „Kloverstopfung, was tun“ sucht, dann kaufe ich mir bei Google zum Beispiel das Wort „Kloverstopfung“. Immer wenn jemand den Suchbegriff „Kloverstopfung“ verwendet, muss theoretisch meine Anzeige erscheinen.
Praktisch gibt es zwei Dinge, die dies verhindern könnten. 1: das von Ihnen für die Anzeige festgelegte Werbebudget ist aufgebraucht und 2: Ihr Gebot war zu niedrig.
Werbebudget und Gebot? Hat die Anzeige denn keine feste Schaltungsdauer und keinen festen Preis? Nein. Und genau das unterscheidet Google Anzeigen von allen anderen.
Beim Erstellen der Anzeige legen Sie fest, wie viel Sie bereit sind, für einen Klick auf die Anzeige zu zahlen. Solange niemand auf Ihre Anzeige klickt, wird diese zwar angezeigt, aber es kostet Sie nichts. Fair, oder? Mit diesem Geschäftsmodell hat Google den Anzeigenmarkt total aufgerollt und vereinnahmt.
Eine Anzeige bei Google zu schalten ist also eher wie eine Auktion. Wer im Vorfeld am meisten für einen Klick bietet, landet an der obersten Stelle, entweder direkt über dem Suchergebnis oder daneben. Hat man zu wenig geboten oder ist das Budget aufgebraucht, wird die Anzeige gar nicht mehr geschaltet.
Schalten Sie zum Beispiel eine Anzeige für 0,25 € pro Klick und geben ein Budget von 10,00 € frei, so werden Sie max. 40 Klicks über diese Anzeigen erhalten können.
Google prüft allerdings automatisch, ob Ihre Anzeige in dem von Ihnen angegebenen Bereich relevant ist. Schalten Sie zum Beispiel eine Anzeige, die immer ganz weit oben angezeigt, aber nie geklickt wird, stoppt Google das Anzeigen irgendwann, denn Google verdient ja durch Ihre Anzeige kein Geld. Der Einnahmeprozess für die Anzeigenschaltung ist also absolut optimiert und Google verdient auf diese Weise sehr viel Geld.
Damit haben wir das „Wie“ beantwortet. Bleibt die Frage nach dem „Warum“.
Warum bietet Google für den Endbenutzer seine Produkte kostenlos an?
Hier gibt es zwei Antworten: Diversifikation (Vielfalt im Bezug auf die Geschäftsfelder) und Marktdominanz.
Wer viele verschiedene Dinge anbietet, also divers ist, gerät nicht so schnell ins Wanken, wenn ein Marktsegment zusammenbricht. Hätten Sie zum Beispiel zum Ende des 19 Jahrhunderts nur Pferdekutschen verkauft, wäre die Chance, heute noch auf dem Markt zu sein, sehr gering. Hätten Sie aber Pferdekutschen und Automobile verkauft, wären Sie heute vielleicht der größte und erfahrenste Autohersteller der Welt.
Google versucht, mit seinen Produkten in vielen Marktbereichen einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen. Es greift Nokia, Microsoft und Apple bei Handy-Betriebssystemen mit dem eigenen Betriebssystem Android an und hat Nokia und Microsoft bereits überholt. Google fordert Microsoft im Office-Bereich heraus und holt auch dort gegen Microsoft-Office mit Marktanteilen auf. Schließlich gab es dem ehemaligen Marktführer Yahoo den Todesstoß im Anzeigengeschäft. Genau wie Apple versucht auch Google, mit eigenen Lösungen die Mächtigen im Markt zu stürzen und Geschäftsmodelle zu verändern.
Damit sind wir bei der Marktdominanz angekommen. Sie führt dazu, dass Käufer nicht mehr frei entscheiden können. Ein Beispiel dafür ist das Betriebssystem Windows in den 90er Jahren. Natürlich konnten Sie als Anwender auch das Betriebssystem Linux benutzen, allerdings konnten Sie dann Office-Anwendungen und 99% der gängigen Software vergessen.
Behörden, die noch vor wenigen Jahren auf Linux umgestiegen sind, kehren nun genau wegen diesen Problemen auf die Windows-Plattform zurück.
Einzig Apple oder Google könnte es gelingen, mit viel Geld den Markt im Bereich der Computerbetriebssysteme zu verändern. Doch dazu später mehr.
Marktdominanz und der damit verbundene Marktanteil, also die Prozentzahl der eigenen Kunden an der Gesamtzahl der potentiellen Kunden gemessen, führt dazu, dass man unangreifbar wird und einem die Konkurrenz nichts anhaben kann.
Google hat erkannt, dass die IT-Welt mobil ist. Heute die meisten Suchanfragen nicht mehr vom PC, sondern vom Handy oder Smartphone gestellt. Deshalb hat Google, genau wie Apple, die langfristige Strategie, auf den mobilen Endgeräten wie Handys, Tablet-PCs etc. dominierend mit Android präsent zu sein. Das Fotografieren von Häusern und Straßen durch eine Softwarefirma mag einem heute komisch erscheinen, aber überlegen Sie einmal, was für Möglichkeiten für Werbung darin stecken. Wenn Sie demnächst mit Google-Maps zu Ihrem Ziel navigieren, bekommen Sie wahrscheinlich Werbung direkt in der Karte angezeigt und zwar direkt am Geschäft, das die beworbenen Produkte verkauft. Mit jedem Produkt von Google, das Sie nutzen, geben Sie mehr über Ihre Gewohnheiten preis. In wenigen Jahren wird Google Sie so gut kennen wie kein anderer und ich bin mir sicher, dass Google dieses Wissen kommerziell nutzen wird.
Google ist ein schönes Beispiel dafür, wie Vertriebskanäle genutzt werden und wie Produkte und Dienstleistung gezielt ausgewählt und positioniert werden, um eine langfristige Strategie zu realisieren.
Der lange Schwanz – Amazon.com
Genau wie Google die Anzeigenbranche revolutioniert hat, so hat Amazon die Welt des Handels verändert.
Der Handel lebt von seinen Handelspartnern und das größte Problem des Handels ist es, immer das Produkt verfügbar zu haben, nach dem der Kunde gerade fragt.
Für das Problem gibt es im sogenannten stationären Handel, also einem Geschäft, in das man als Kunde hineingehen kann, keine direkte Lösung. Die indirekte Lösung lautet: „Das bestellen wir gerne für Sie und Sie können es dann in x Tagen bei uns abholen.“
Dies ist keine sehr zufriedenstellende Lösung.
Dann kam Amazon. Angefangen hat Amazon mit Büchern und ist heute der größte Online-Händler der Welt. Verfügbar mit lokalisierten, speziell auf die Region angepassten Shops in vielen Ländern der Welt. Doch wie hat Amazon es geschafft, die Menschen aus den Geschäften ins Internet zu locken? Der Preis kann in Deutschland, wo die Buchpreisbindung herrscht und alle Bücher überall zum gleichen Preis verkauft werden müssen, nicht das Hauptargument sein.
Insgesamt waren es drei Faktoren: die Liefergeschwindigkeit, der Service und die Anzahl der Produkte.
Das Versprechen von Amazon war und ist: kostenlose Lieferung innerhalb von 1-2 Werktagen. Inzwischen zahlt man außer für Blu-Ray-Discs und Bücher Porto. Für die schnelle und dann im Einzelfall kostenlose Lieferung via Amazon-Prime knapp 30 Euro pro Jahr.
Gefällt Ihnen ein Artikel nicht, so können Sie diesen kostenlos zurücksenden und erhalten ohne wenn und aber den Kaufpreis erstattet. Selbst bei Geräten, die nach 7 Monaten kaputt gehen, erstattet Amazon den vollen Kaufpreis. Das ist Kundenservice, wie man ihn sonst zumindest in Deutschland, nicht kennt.
Das Bewertungssystem von Amazon gibt außerdem jedem Kunden die Möglichkeit, ein gekauftes Produkt zu bewerten und somit anderen eine Empfehlung für oder gegen den Kauf zu geben.
Zu guter Letzt ist da noch der lange Schwanz (Long-Tail).
Grundsätzlich versucht der Handel immer die Produkte im Regal zu haben, die von vielen Kunden angefragt werden, denn Regalfläche ist teuer. Deshalb werden zum Beispiel in Supermärkten mit Musikabteilungen in der Regel immer die Top 30 CDs des Monats zu finden sein, aber keine Erstausgabe des „White Album“ der Beatles als Schallplatte.
Dadurch bedingt, dass die Lager- und Regalfläche für Amazon viel günstiger als für den stationären Handel ist, der in einer vergleichsweise hochpreisigen Lage seine Zelte aufschlägt, kann Amazon Artikel vorhalten, die vielleicht nur ein oder zweimal pro Jahr verkauft werden. Aber in der Summe aller Artikel dieser Art machen sie einen Großteil des Umsatzes aus.
Der Short-Tail sind also die Topartikel mit hohen Verkaufsmengen, der Long-Tail all die Artikel, die nur in kleinen Stückzahlen verkauft werden.
Amazon beherrscht es wie kaum ein anderes Unternehmen, Kundenbeziehungen zu managen. Zum Beispiel dadurch, dass Sie jederzeit über den Status der Bestellung unterrichtet werden, dass Sie mit einem Klick kaufen können (One-Click-Shopping) und auch dadurch, dass Sie Artikel problemlos umtauschen können.
Aber Amazon geht noch weiter. Amazon gibt auch jedem registrierten Benutzer die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Entweder über den sog. Amazon Marketplace, einem Marktplatz für neue und gebrauchte Waren, die zum Teil auch nicht im direkten Sortiment von Amazon vorhanden sind. Oder durch das Amazon Partnerprogramm, bei dem jeder, der einen Käufer vermittelt, einen kleinen Teil des Umsatzes erhält. Mit all diesen Maßnahmen ist Amazon zum größten Onlinehändler der Welt geworden.
Das Beispiel von Amazon zeigt, was bisher noch im Puzzle des Geschäftsmodells gefehlt hat: Kundenbeziehungen, Partnerschaften und Ressourcen, die im Beispiel von Amazon durch die Lagerfläche oder das Kapital beschrieben wurden.
Bevor wir uns zwei weiteren, noch komplexeren Geschäftsmodellen widmen, lassen Sie mich kurz die 9 Kernbestandteile eines Geschäftsmodells zusammenfassen. Es besteht aus:
- Zielgruppen und Kunden
- Produkten bzw. Dienstleistungen und deren Positionierung
- Kundenbeziehungen
- Absatzwege
- Einnahmen
- Kosten
- Partnerschaften
- Ressourcen (wie zum Beispiel Kapital)
- Kerngeschäftsprozessen
Die Beatles und der Apfel
In den 80er Jahren verkrachten sich die Beatles mit einem kleinen Team von Computererfindern aus dem Silicon Valley. Die Rede ist von den Gründern von Apple Computer Steve Jobs und Steve Wozniak.
Steve Jobs hatte frech für seinen Firmennamen ein ähnliches Logo und den gleichen Namen verwendet wie die Beatles für ihr Plattenlabel: Apple.
Der Streit dauerte bis vor wenigen Jahren an, dann gab es die Versöhnung mit einem Paukenschlag.
Die Geschichte von Apple ist untrennbar mit der Geschichte von Steve Jobs verbunden. Während man vom Technikguru der 80er Steve Wozniak, dem zweiten Gründer von Apple, heute nicht mehr viel hört, ist Steve Jobs nicht erst seit seinem frühen Tod in aller Munde.
Steve Jobs war, wenn man seinen Kollegen und der Biografie glauben darf, ein kreatives Genie mit einem ausgezeichneten Gespür für Design und dafür, wie man bei Kunden Begehrlichkeiten weckt. Er war ein detailverliebter Perfektionist und wohl auch nicht der einfachste Mensch der Welt.
Aber was hat das nun alles mit Geschäftsmodellen zu tun?
Steve Jobs war der erste Manager der Welt, der vier Märkte komplett revolutionierte bzw. neu definierte. Dies alles mit einer sehr langfristigen Strategie, die auf einem sehr komplexen und verzahnten Geschäftsmodell basiert.
Schafft jemand in der Wirtschaft ein geschlossenes System, das funktioniert, so nennt man dies ein Ökosystem (engl. Eco-System). Genau so ein geschlossenes Ökosystem hat Steve Jobs mit Apple geschaffen.
Der erste Markt, den er nicht nur verändert, sondern sogar definierte, war der Markt für persönliche Computer (PCs). Apple war die erste Firma, die fertig zusammengebaute Computer für den Heimbereich herstellte und erschwinglich machte.
Der zweite Markt, den er veränderte, war der Musikmarkt. Dazu gleich mehr.
Der dritte Markt, den er veränderte, war der Mobilfunkmarkt und der vierte der, der sogenannten Tablet-PCs (oder Tablet-Computer).
Durch ihn sind diese vier Märkte bei Apple in einem Geschäftsmodell untrennbar miteinander verbunden worden. Dieses Geschäftsmodell ist die Basis des eben erwähnten Ökosystems.
Schauen wir uns an, wie all das zusammenhängt.
Am Anfang verkaufte Apple Computer.
Dann wurde Steve Jobs als Vorstand aus seinem Unternehmen verdrängt.
In der Folge verkaufte Apple immer weniger Computer, die Umsätze gingen zurück und Apple war schließlich fast Pleite.
Nach der Rückkehr von Steve Jobs rettete Microsoft Apple mit einer Investition vor dem Aus.
Apple verkaufte wieder Computer. Diesmal waren es knallbunte Plastikknubbel namens iMac mit einer für die damalige Zeit revolutionären Eigenschaft: Es fehlte ein Diskettenlaufwerk!
Apple verkaufte wieder mehr Computer.
Eines Tages kündigte Apple einen MP3-Player mit einer eingebauten Festplatte an, den iPod, auf dem man seine gesamte Musiksammlung immer mit sich rumtragen konnte.
Der iPod war anders als alle anderen MP3-Player, denn er konnte nur mittels der Apple-Software iTunes mit Musik bestückt werden. Kein iTunes – keine Musik. Das war der Anfang des Ökosystems.
Um Musik im iTunes-Store, dem Apple eigenen Internetmusikshop, anbieten zu können, musste man mit Apple kooperieren. Das sahen zuerst nicht viele Musikhersteller ein, denn digitale Musik bedeutete verlustfrei kopierbare Musik.
Aber Apple verkaufte kräftig Musik über den iTunes-Store und ebenso iPods. Denn wollte man bei Apple Musik kaufen, benötigte man einen iPod, hatte man einen iPod, musste man auch Apple-Software nutzen. Anfangs war iTunes nur für den Apple Mac verfügbar, später für Windows-PCs.
Die Folge daraus war, dass Menschen, die bisher nie einen Apple Computer benutzt und auch sonst keine Beziehung zu Apple hatten, plötzlich Apple-Produkte kauften und benutzten. Apple war im Massenmarkt der Unterhaltungselektronik angekommen und verkaufte durch seine iPods auch gleich noch mehr seiner Macs.
Der Erfolg des iPod blieb nicht ohne Folgen. Neue Varianten und Versionen lösten sich ab und schließlich wurde der zunächst teure iPod in seinen verschiedenen Versionen ein Produkt für die Massen. Immer mehr Leute nutzten in der Folge Apple-Produkte.
Dann kündigte Apple das erste iPhone an. Technisch und im Design brillant knüpfte es dort an, wo der iPod aufhörte und integrierte diesen einfach. Geboren war ein Telefon mit MP3-Player, das durch seine tolle Software einfach mit den Fingern bedient werden konnte. Darüber hinaus – und das war neu – konnte das iPhone durch simple Downloads von sogenannten Apps aus dem Apple eigenen App-Store in seiner Funktionalität beliebig erweitert werden. Natürlich alles nur über die iTunes-Software!
Wollte man eine Applikation für das iPhone entwickeln, brauchte man einen Mac von Apple. Das ist übrigens noch bis heute so. Wollte man seine App im App-Store verkaufen, musste man zuerst einen Entwicklerzugang kaufen und später die App von Apple freigeben lassen. Niemand kam (und kommt) in das Apple-Ökosystem, der nicht mit den Regeln von Apple konform war und ist.
Die Attraktivität des iPhone und vor allem die des App-Stores führte dazu, dass immer mehr Entwickler damit begannen, Software, für das iPhone zu entwickeln. Dazu brauchten sie, wie schon gesagt einen Mac. So wuchs der Marktanteil von Apple nicht nur bei Musikplayern und Mobiltelefonen, sondern vor allem auch im Bereich der Computer, in dem vorher gegen Microsoft und Windows nur schleppend Boden gut zu machen war.
Das iPad schloss schließlich die Lücke zwischen iPhone und Mac. Auch dies basierte auf dem Betriebssystem des iPhone, iOS und konnte mit Apps über den App-Store versorgt werden. Darüber hinaus integrierte Apple im iPad auch gleich noch eine weitere Funktion: eBooks.
Ende 2010 legten dann sogar die Beatles und Apple Ihren jahrzehntelangen Streit bei und alle Songs der Beatles waren im iTunes-Store verfügbar. Natürlich ging es im Vorfeld nicht ohne eine, der für Apple typischen, nebulösen Ankündigungen.
Bei Apple wird also, wie Sie sehen können, kräftig Geld verdient. Nicht nur mit Computerhardware und -software, sondern vor allem auch mit Musik, Apps von Drittherstellern, Filmen, TV-Serien und Büchern.
Blaue Strahlen gegen rote Strahlen – Sony
In den 1970er Jahren erfand Sony einen Videostandard namens Betamax. Die reiferen Leser werden den Begriff vielleicht schon einmal gehört haben, die jüngeren vermutlich nicht. Betamax sollte der helle Stern am Videohimmel werden, wurde aber schnell vom VHS-System von JVC verdrängt. Das kennen Sie bestimmt noch: VHS-Kassetten dominierten die Regale der Videotheken und Kaufhäuser bis zum Siegeszug der DVD. Heute ist das VHS-System kein Thema mehr.
In den 70er Jahren musste sich Sony mit Betamax vom VHS-System geschlagen geben. 2008 war dann die Zeit für die Revanche von Sony gekommen. Es ging um das neue HD-Format und den Nachfolger der DVD.
Es war ein Kampf entbrannt zwischen Toshiba mit dem HD-DVD-Format auf der einen Seite und Sony mit der Blu-Ray-Disc-Format auf der anderen Seite. Toshiba mit den roten Hüllen und dem roten Laser zur Abtastung der HD-Medien in der „roten Ecke“ und Sony mit den blauen Hüllen und dem blauen Laser zur Abtastung der HD-Medien in der „blauen Ecke“.
Diesmal gewann Sony und dominiert nun auf dem Markt der HD-Medien!
Was hat Sony seit den 70er Jahren dazugelernt?
Die Einführung eines neuen Standards sowie auch jeder anderen neuen Technologie, ist von der Erfüllung der zwei nachfolgenden Kriterien abhängig:
1. Akzeptanz beim Kunden
und
2. Verbreitung des Standards in Technologie und Medien.
Um das Erste zu bekommen, muss man zunächst das Zweite erreichen. Im Falle von Sony und Blu-Ray: Es müssen Blu-Ray-Player und Medien (Filme) zu einem guten Preis auf dem Markt verfügbar sein, denn je günstiger diese sind, desto schneller wird das Gerät und damit der Standard akzeptiert.
Sony hatte für beides eine Strategie, die Toshiba nicht hatte. Um günstig Geräte auf den Markt zu bringen, wurde die Technologie einfach „Huckepack“ mit einer anderen Technologie, der Spielkonsole Playstation 3, verkauft. Somit hatte jeder Käufer einer Playstation 3 auch gleich einen Blu-Ray-Player.
Das Medienproblem löste Sony auf mehreren Wegen: Es wurden Verhandlungen mit den Filmstudios, zum Beispiel mit Disney etc., über exklusive Veröffentlichungen geführt und es wurden einige Filmstudios, wie Sony Pictures, Columbia, MGM etc., von Sony selbst gekauft bzw. aufgebaut.
Auch Toshiba versuchte sich an Exklusivdeals, beispielsweise mit Universal Studios, wurde aber zum Schluss von der Geräte- und Medienmacht von Sony überrollt. Kurz nach der Einführung der Playstation 3 streckte Toshiba die Waffen und verramschte sowohl HD-DVD-Player als auch Filme. Heute stellt Toshiba selbst Blu-Ray-Player her.
Das ist aber nur ein Teil dessen, was ich Ihnen über das Geschäftsmodell von Sony erzählen möchte.
Mit der Einführung der Playstation 3 verlor Sony jeden Tag Geld. Jedes verkaufte Gerät kostete Sony rund 200 Dollar mehr, als das, was der Kunde dafür bezahlte. Sony verlor also mit jedem Verkauf Geld, versuchte aber trotzdem, die Verkaufszahlen weiter und weiter in die Höhe zu treiben.
Verrückt, könnte man jetzt denken, aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Jede neue Technologie kostet Geld, nicht nur Forschung und Entwicklung, sondern zum Teil auch neue Komponenten, die noch nicht in solchen Massen gefertigt werden, dass sie wirklich preisgünstig sind. Die Ersten, die neue Technologie kaufen, sind die sogenannten „Early Adopter“, also die experimentierfreudigen „Frühannehmer“. Early Adopter kaufen zu einem hohen Preis und sorgen damit dafür, dass die neue Technologie durch die Großserienherstellung irgendwann bezahlbar wird.
Sony verlor jeden Tag Geld, hatte aber dabei drei Strategierichtungen anvisiert: Medien, Zubehör und Zeit.
Über den Verkauf von Spielen, Filmen und Zubehör wollte Sony einen Teil der Verluste pro Konsole kompensieren. Dadurch, dass die neue Konsole nicht nur Spiele, sondern auch Filme abspielen konnte, waren gleich zwei Mediensegmente als Kompensator verfügbar. Sony rechnete mit 2 verkauften Spielen sowie mindestens einem Film pro Konsole. Bei einem Startpreis von knapp 70 Dollar pro Spiel und 40 Dollar pro Film rechnete man also mit ca. 180 Dollar an Medienumsatz pro Käufer innerhalb des ersten Monats nach dem Kauf der Konsole. Hinzu kamen Zubehörverkäufe, wie etwa ein zweiter Controller für 50 Dollar oder die Fernbedienung für die Playstation als Blu-Ray-Player für 30 Dollar.
Sie sehen, dass sich über das Kompensationsgeschäft einige Lücken schließen und Verluste decken lassen.
Schließlich arbeitete auch die Zeit für Sony, denn je größer die Bestellmengen von Sony bei seinen Lieferanten waren und je länger die Konsole am Markt war, desto geringer wurden insgesamt auch die Produktionskosten der Konsole. Anfang 2010 hatte Sony schließlich den Break-Even-Point erreicht, also den Punkt, an dem die Umsätze die Kosten übersteigen und machte seither mit der Playstation 3 Gewinn. Inzwischen gibt es übrigens ein neues Modell der Playstation 3, das noch kleiner und günstiger zu fertigen ist und weniger Strom verbraucht.
Der Gegenentwurf zum Geschäftsmodell von Sony ist das Geschäftsmodell von Nintendo mit der Wii-Konsole.
Nintendo setzte nicht auf High-Tech, sondern auf Innovation und schaffte es als erster Videospielehersteller, eine Bewegungsteuerung auf den Markt zu bringen. Der Erfolg gab Nintendo recht und Nintendo verkaufte bis Mitte 2010 mehr Konsolen als Microsoft und Sony zusammen.
Außerdem verdiente Nintendo ab dem ersten Tag mit jedem Verkauf der Wii-Konsole Geld. In dieser steckte nämlich nur die leicht verbesserte Technologie der Vorgängerkonsole von Nintendo, Game Cube, erweitert um den neuen Bewegungscontroller. So schaffte es Nintendo nicht nur erneut Marktführer zu werden, sondern vor allem auch satte Gewinne mit jeder verkauften Konsole einzufahren – und zwar ab der ersten verkauften Konsole.
Erfolgs- und Risikofaktoren von Geschäftsmodellen
Einige Geschäftsmodelle haben wir nun kennengelernt. Ich hoffe, dass dieses Kapitel Ihnen einen guten Einblick in die teils komplexe Wissenschaft der Geschäftsmodellgestaltung gegeben hat.
Die entscheidende Frage, die hinter jedem Geschäftsmodell steht ist: Wie, mit wem und womit wird das Geld verdient?
Wenn Sie diese Frage schlüssig beantworten können, ist das schon „die halbe Miete“.
Je höher der Komplexitätsgrad eines Geschäftsmodells ist, desto höher ist das damit verbundene Risiko. Versuchen Sie, Ihr Geschäftsmodell immer so einfach wie möglich und so komplex wie nötig zu gestalten. Je mehr Sie von Partnern oder Zulieferern abhängig sind, desto größer ist auch die Gefahr, dass nicht alles so läuft wie geplant.
Müssen Sie zwei Kundengruppen werben und bedienen, zum Beispiel als Immobilienmakler nicht nur Käufer, sondern auch Verkäufer gewinnen, bringt dies ebenfalls eine noch größere Komplexität mit sich.
Vergessen Sie bei der Entwicklung Ihres Geschäftsmodells auch nie die Zeit als einen wichtigen Faktor. Das Beispiel von Sony zeigt, dass die Zeit manche (Kosten)- Wunde heilt. Man muss es sich häufig nur leisten können und einen langen Atem haben.